Wohlstand ist eine (wirtschafts-)politische Kunst

IV-Chefvolkswirt Christian Helmenstein über erstaunliche Unterschiede bei der regionalen Wertschöpfung und warum topografische Gegebenheiten als Ausrede nicht gelten.
Wertschöpfungskerne in Österreich. Wertschöpfung je Flächeneinheit im Siedlungsraum. Gebietskulisse und Daten für das Jahr 2015. Quelle: Economica.

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Mit Unterstützung des BMDW hat das Economica Institut ein Modell mit dem Charakter einer Europa-Premiere entwickelt, um die Wohlstandsentstehung in Österreich geografisch zu verorten. Die Grafik weist alle 2.100 Städte und Gemeinden Österreichs als Skyline der österreichischen Wertschöpfungsnuklei und Wohlstandspole aus. Die höchste Wertschöpfungsintensität weist die Stadt Schwechat als Standortgemeinde der OMV als dem größten heimischen Industrieunternehmen einerseits und dem Flughafen Wien als dem Hub von Österreichs globaler physischer Konnektivität andererseits auf. Es folgen die Bundeshauptstadt Wien sowie der Logistik- und Einzelhandelsstandort Wiener Neudorf. Darüber hinaus stechen Linz, Innsbruck, Rattenberg als kleinste Stadtgemeinde Österreichs, Wattens, Salzburg, Schwadorf, Bregenz, Breitenwang und Ried im Innkreis hervor. Ebenfalls zu den Top 20 zählen Laxenburg, Hall in Tirol, Vösendorf, Steyr, Kundl, Graz, Maria Enzersdorf und Jenbach – nicht wenige von ihnen als Landeshauptstädte und/oder als ausgeprägte Industriestandorte.

Wertschöpfungskerne in Österreich. Wertschöpfung je Flächeneinheit im Siedlungsraum. Gebietskulisse und Daten für das Jahr 2015. Quelle: Economica.

In der Geschichte der Menschheit erwies sich Wohlstand als ein vergängliches Phänomen. Rund zwei Millennien früher war der Wohlstand im „Süden“ und nicht etwa im „Norden“ Europas domiziliert. Das Zentrum des Imperiums in Rom wies die höchste Wirtschaftsleistung pro Kopf auf, gefolgt von Ägypten und jenen Territorien, die heute von Libyen bis Marokko reichen.

Wird der Untersuchungszeitraum nur hinreichend lang gewählt, ist in Sachen Wohlstand nichts in Stein gemeißelt. Es gibt bis dato kein einziges Imperium, welches in der vorindustriellen Geschichte der Menschheit einst wirtschaftlich hochgradig leistungsfähig war und dies bis zum heutigen Tage noch wäre. Offensichtlich ist die Fähigkeit, Wohlstand zu erzeugen, zu bewahren und auszubauen, eine rare ökonomische wie politische Kunst.

Gegenwärtig ist Österreich eine leistungsfähige Hocheinkommens-Ökonomie. Österreich besticht auch durch ein hohes Maß an Gleichverteilung des Wohlstandes im Raum. Die Bundesländer sind einander nach Maßgabe ihres Bruttoregionalproduktes pro Kopf sehr ähnlich. Das Bundesland Salzburg als das leistungsstärkste Bundesland und das Burgenland am anderen Ende des Spektrums divergieren um rund 75 %, während die Unterschiede in Deutschland, Frankreich und Italien zwischen 130 und 150 % betragen.

Noch geringer fallen die Unterschiede bei der Kaufkraft je Einwohner aus. Die Spanne zwischen Niederösterreich als dem kaufkraftstärksten Bundesland einerseits und Tirol andererseits beläuft sich auf marginale 8 %. Es lässt sich also eine weitgehende Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Österreich feststellen, was im Vergleich mit vielen anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union keine Selbstverständlichkeit darstellt.

Wohlstand in Österreich entsteht, räumlich betrachtet, hochkonzentriert auf extrem kleiner Fläche. Auf gerade einmal 7,7 % des österreichischen Siedlungsraumes werden 50,9 % der gesamten Wertschöpfung erwirtschaftet! Dazu braucht es lediglich die wertschöpfungsintensivsten 56 Städte und Gemeinden von insgesamt 2.100. Anders ausgewiesen: Die Hälfte der österreichischen Wertschöpfung wird auf nicht mehr als 882 Quadratkilometern erwirtschaftet – das entspricht einem Gebiet mit einer Kantenlänge von weniger als 30 mal 30 Kilometern! In Sachen Erzeugung von Wohlstand haben wir es mit einsamen Gipfeln, einigen produktiven Hochebenen und vielen recht kargen Tälern zu tun.

Wohlstand in Österreich entsteht, räumlich betrachtet, hochkonzentriert auf extrem kleiner Fläche.

Christian Helmenstein

Auch zwischen Tourismusgemeinden bestehen höchst bemerkenswerte Unterschiede: Im Bundesland Salzburg etwa stechen Bad Gastein, Saalfelden und Zell am See mit einer weit überdurchschnittlichen Wertschöpfungsintensität heraus. Im Ergebnis sind in ihrer Dimension geradezu spektakuläre Diskrepanzen zwischen den Tourismusgemeinden festzustellen. Deren leistungsfähigste liegen nicht um 10 %, auch nicht um 50 % oder um 100 % über ihren Peers, sondern um über 1.000 %! Dieser Befund wiederum führt zu dem Schluss: Wirtschaftlicher Erfolg ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer exzellenten Strategie und ihrer konsequenten Umsetzung – über mehrere Wahlperioden hinweg!

Lamenti über topografisch bedingte Standortnachteile sind überwiegend gegenstandslos: Unmittelbar benachbarte Gemeinden – die ähnliche, wenn nicht sogar identische topografische Voraussetzungen haben – weisen enorme Performance-Unterschiede auf. Performance ist folglich eine endogene Größe, die standortpolitisch gestaltet werden kann und kaum von topografischen Gegebenheiten abhängt.

Dennoch ist das fatalistische Argument populär, ohnedies kaum etwas am wirtschaftlichen Erfolg einer Stadt oder Gemeinde ändern zu können. Tatsächlich sind jedoch umfangreiche wirtschaftspolitische Gestaltungsmöglichkeiten auf nationaler, regionaler und sogar lokaler Ebene in ganz zentralen Handlungsfeldern erhalten geblieben. Genau genommen in allen Bereichen mit einem primär struktur- und standortpolitischen Charakter: die Bildungs- und Forschungspolitik, die Ansiedlungspolitik, die Flächenwidmung und der Infrastrukturausbau, die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie weitere Politikfelder.

Exzellente Standortentwicklung ist auch heute noch möglich, trotz der Einbettung Österreichs in supranationale wirtschaftspolitische Entscheidungsstrukturen. Mehr noch, es ist gerade diese Einbettung, die die erwarteten regionalwirtschaftlichen Renditen auf richtige standortpolitische Entscheidungen substanziell erhöht.

Kommentar von Christian Helmenstein

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